Robert Musil
Die Verwirrungen des Zöglings Törleß
Rezeption des Stückes
Von Frank Stein
I Entstehungszeitraum
Die Niederschrift Robert Musils (1880 – 1942) Verwirrungen des Zöglings Törleß erfolgte in den Jahren 1902/1903 und war Ergebnis einer beruflichen Enttäuschung des Autors, der schon immer die Philosophie und Psychologie seiner Tätigkeit als Ingenieur vorzog.
Nachdem mehrere Verlage in den Folgejahren Musils Manuskript abgelehnt hatten, nahm er gemeinsam mit dem vom Roman begeisterten renommierten Literaturkritiker Alfred Kerr (1867 – 1948) eine Überarbeitung vor, die auch schließlich im Jahr 1906 veröffentlicht wurde.
Von Beginn ihrer Publikation an spalteten sich die Meinungen zu den Verwirrungen des Zöglings Törleß:
Auf der einen Seite lobten die Kritiken Musils Tabubruch, seine passagenlangen Darstellungen sexueller Intimitäten und seine psychoanalytischen Qualitäten sowie seine bestechende Schärfe. – Auf der anderen Seite verurteilten gerade konservative Kreise derartige Perversionen, die vorwiegend in der Offenheit gegenüber den „sado-masochistischen Exzesse[n]“ Anstößiges fanden.
Außerdem beschrieb man den Roman oft als zu weitschweifig und wissenschaftlich, ja man kann schon beinahe behaupten: als nicht Leser gerecht geschrieben. So auch der Schweizer Schriftsteller Jakob Schaffner (1875 – 1944), der postulierte, dass kein Leser dazu verpflichtet sei, „sich gefallen zu lassen, daß ein poetischer Bericht durch kapitellange Psychoanalysen unterbrochen wird, die auch wieder imaginär sind und keine Sicherheit geben“.
Trotz alledem beruhte der starke Erfolg des Törleß’ nicht zuletzt auf der kritischen Würdigung Musils Maßstäbe setzenden Freundes Kerr in der Berliner Zeitung Der Tag, der neben den stilistisch-literarischen Fähigkeiten des Autors das Geheimnis des Romans vor allem „in der ruhigen, verinnerlichten Gestaltung abseitiger Dinge des Lebens“ sah, also in den von ihm betitelten „Nachtseiten“ der Handlung, die ins Imaginäre abschweifen, aber dennoch fest im Jetzt verwurzelt sind.
II Nachträgliche Wirkungsgeschichte
In den Jahren nach seiner Veröffentlichung blieben die Meinungen bezüglich des Romans weiterhin geteilt; wenn auch sich ein gewisser Kult um Die Verwirrungen des Zöglings Törleß gebildet hatte, die Perversion wurde dem Werk weiterhin vorgeworfen.
Wohl deshalb fielen die Verwirrungen – wie auch die übrigen von Musils Werken – ab 1933 den Bücherverbrennungen der Nazis zum Opfer.
Ab 1957 jedoch fand ein Prozess der Rehabilitation des Musilschen Erstwerkes statt, die bis heute hin anhält und so Die Verwirrungen des Zöglings Törleß zu Robert Musils meistgelesenem und erfolgreichstem Werk macht.
III Interpretationen im Spiegel Musils persönlicher Intention
Musil selbst jedoch bezeichnete den Erfolg, der seinem Törleß beschert war, als eine „Reihe von Missverständnissen“. Zum einen wies er nicht nur jegliche Behauptung von sich, dass es in seinem Roman um eine autobiographische Verarbeitung seiner eigenen Kadettenzeit ginge, sondern korrigierte auch die These, dass es sich bei den Verwirrungen des Zöglings Törleß um ein reformpädagogisches Lehrwerk oder eine psychoanalytische Pubertätsstudie handle.
Tatsächlich seien seine Erlebnisse innerhalb der k.u.k.-Monarchie lediglich eine bloße Inspiration gewesen; gerade das Kompromittierende sei zum größten Teil erfunden. – Auch die homosexuellen „Abnormitäten“ sind nach Musil bloßer Zufall der Handlung und verdienen keine gesonderte Aufmerksamkeit.
Vielmehr betonte Musil die Ästhetik seines Werkes und rückte die Idee seiner Geschichte, also die geistige Entwicklung des Schuljungen Törleß und dessen Selbstfindung, in den Focus seines Interesses und verstand seinen Roman als einen Prozess der Erkenntnis und nicht als eine naturalistische Beobachtung oder Tatsachenbeschreibung.
Somit sah Robert Musil in seinem Törleß eine fiktive Kunstfigur (!), an der modellhaft der Ablauf komplexer Seelenvorgänge verdeutlicht werden soll, ohne jedoch dabei die Fiktion und das Werdende – also eben nicht das Bestehende (!) – aus den Augen zu verlieren.
erarbeitet von Frank Stein